Wie kann man moderne CMOS-Kameras vergleichen?

EMVA-Daten sind die Pflicht
Die Frage, nach welchen Kriterien die Kamera für eine bestimmte Anwendung ausgewählt werden kann, ist keineswegs neu und hat unter anderen auch die European Machine Vision Association (EMVA) beschäftigt. Ergebnis ist der EMVA 1288 Standard: Er definiert Methoden zur Ermittlung von Daten, die Bildqualität und Empfindlichkeit einer Machine Vision Kamera bzw. eines Sensors für eine solche Kamera charakterisieren.
Die EMVA-Daten von Kameras zu vergleichen ist sozusagen das Pflichtprogramm wenn es um die Auswahl eines geeigneten Exemplars geht. Erst durch die EMVA-Daten wird klar, was eine Kamera kann, bzw. wie geeignet die Kamera ist.
Allerdings geben EMVA-Daten nicht immer umfassende Hinweise auf Probleme, die sich aus dem Sensor-Design ergeben können: Ein Beispiel hierfür ist die so genannte Shutter Line, ein Bildartefakt. Interessanterweise fallen dem menschlichen Auge solche Fehler sofort auf, während EMVA-Werte davon unberührt bleiben. Ein anderes Beispiel sind zeitlich veränderliche Störungen wie Defektpixel oder blinkende Pixel.
Ein gründlicher Test einer Musterkamera hilft dem Anwender hier deutlich weiter. Wichtig bei so einem Test ist, die Kamera gründlich und möglichst applikationsnah zu testen. Nicht jede Algorithmik reagiert gleich empfindlich auf Bildqualitäts-Probleme. In jedem Fall ist es hilfreich wenn man sich hinsichtlich der Bildqualität auf einen gesicherten Standard verlassen kann, den meist nur größere Markenhersteller bieten. Das spart Testzeit und langwieriges Optimieren der eigenen Applikation.

Baugröße, Hardwareperformance und umfangreiches Featureset einer Kamera sind die Kür
Unter den Eigenschaften einer Kamera, die der EMVA Standard ebenfalls nicht erfasst, sind auch ganz offensichtliche wie z. B. Baugröße und verwendete Hardware sowie deren Empfindlichkeit gegenüber Umwelteinflüssen, insbesondere Temperatur und Temperaturänderungen oder elektromagnetischen Störungen . Diese Kriterien können ohne weiteres Ausschluss-Kriterien für eine Kamera sein, die von Ihren Daten ansonsten gut für eine Anwendung geeignet ist.

Baugröße
Gleiche Sensoren finden sich in ganz unterschiedlichen Kameraformaten wieder. Während sich für Sensorgröße bis 2/3“, teilweise auch bis 1“, ein C-Mount und ein Formfaktor von 29x29 im klassischen Machine Vision Markt durchgesetzt hat, gibt es bei kleineren CMOS-Sensoren kleinere Baugrößen oder sogar Boardlevel-Varianten (das sind vollwertige Industriekamera auf einem Board ohne Gehäuse). Kleine Baugrößen bringen mehr Flexibilität und sparen Platz im System. Da aber auch Stromverbräuche und Wärmemanagement beachtet werden müssen, ist aber meist nicht die kleinste Kamera auch die geeignetste. Während in typischen Fabrikautomatisierungs-Anwendungen solche Aspekte wichtig sind, gibt es aber auch Anwendungen aus anderen Bereichen, wie etwa der Medizintechnik, wo das Gehäuse noch andere Eigenschaften aufweisen sollte. So trifft zum Beispiel eine gute Haptik und ansprechendes Design bei sichtbaren Kameras wie in der digitalen Mikroskopie eher die Kundenbedürfnisse.
Hardware in der Kamera
Bei der verarbeiteten Hardware in der Kamera kommen viele nicht sichtbare Eigenschaften zum Tragen, die bei Vergleichen von verschiedenen Kameras mit gleichem Sensor beachtet werden sollten. Dies fängt bei dem eingesetzten FPGA an, einem komplexen konfigurierbaren Logikbaustein, in den eine Digitalschaltung bis hin zum spezialisierten Mikroprozessor hardwareseitig geladen werden kann. FPGAs stellen den Kern für viele Kamera-Konzepte dar. Ein leistungsfähiges FPGA in Verbindung mit einer effizienten Firmware ermöglicht viele Firmware-Funktionen (vor allem Bildverbesserungen) in der Kamera, die nicht auf dem PC oder Processing Board gerechnet werden müssen. Hardwareseitig ist oft auch ein RAM von Vorteil, um Bilder zwischen zu speichern. Das erhöht die Datenstabilität und ist vor allem ein wichtiger Faktor bei Applikationen, die viele Bilder in kurzer Zeit und damit eine hohe Bandbreite erfordern.
Temperatur/Wärmeentwicklung der Kamera
Neuere CMOS-Sensoren laufen mit deutlich höheren Frameraten als ältere CMOS-Sensoren oder CCD-Sensoren. Neben dem Performancegewinn führt dies auch zu einem höheren Stromverbrauch und damit erhöhter Wärmeentwicklung innerhalb der Kamera. Eine höhere Eigentemperatur der Kamera kann in verschiedenen Applikationen ein Problem darstellen oder sich negativ auf die Bildqualität auswirken. Bei Vergleichen verschiedener Kameras bezüglich ihres Temperaturverhaltens sollte man unbedingt darauf achten, dass bei genau gleichen Bildraten und Bildqualitäten gemessen wird. Das Kameradesign spielt eine große Rolle in Bezug auf die Ableitung entstehender Wärme. Gelingt diese Ableitung nicht ausreichend, kann erhöhte Temperatur nicht nur das Bildrauschen erhöhen, sondern sogar Bauteile schädigen. Man erkennt Unterschiede im thermischen Design von Kameras weniger anhand der absoluten Gehäusetemperaturen als eher bei Temperaturvergleichen zwischen Kamera-Kern und dem Außen-Gehäuse. Bei Temperaturmessungen sollte die Kamera daher so (mit benachbarter Geometrie und Objektiv) montiert sein wie später in der Anwendung.
Bonus: Firmware-Funktionen und hohe Datenübertragungsstabilität
Völlig unterschiedlich können sich Kameras mit gleichem Sensor auch verhalten, weil sich Firmware und Software der Kameras unterscheiden. Zum einen wäre hier die Konformität mit Standards, wie etwa GenICam wichtig („Ansprechen“ der Kamera), aber auch Kompatibilität mit den Interfacestandards wie GigEVision und USB3 Vision . Diese Standards regeln und definieren die Kommunikationswege und Schnittstellen der Kamera und ermöglichen bei der Integration Aufwandsersparnisse und verlässliche Qualität in der Datenübertragung.
Aber auch bei der Leistungsfähigkeit der Firmware und der dazugehörigen Software kann es in mehrerlei Hinsicht Unterschiede geben. Die erste betrifft die Arbeit bei der Integration der Kamera: eine ausgereifte Software- und Treiberumgebung für die Ansteuerung der Kameras und eine etablierte Programmierumgebung (inkl. Kompatibilitäten mit verschiedenen Betriebssystem oder Programmiersprachen) kann nicht jeder Kamerahersteller bieten. Sie sind aber ein Muss für jedes größere Design-In.
Weitere Unterschiede können sich bei der Datenstabilität ergeben. Sieht z. B. die Kamera-Firmware einen Frame Buffer vor, steigert dies die Datenstabilität gerade bei höheren Bandbreiten/ Frameraten enorm.
Nicht zuletzt sind es standardisierte oder proprietäre Features der Kamera, die die Performance des Vision Systems steigern können, manche holen aus ein und demselben Sensor ein deutlich besseres Ergebnis heraus.
Im Folgenden stellen wir zwei Beispiele anhand der Basler ace Kamera vor:

Zu lohnenden Firmware-Features einer Kamera gehören z.B. die Optimierung der Bildqualität. Sie ist hilfreich bei Applikationen, die eine hohe Farbechtheit erfordern (Medizin), die genaue Konturen benötigen (Code- oder Number Plate Reading) oder bei denen Schärfe in Kombination mit Farberkennung eine große Rolle spielt (Bauteilerkennung und Platzierungsposition im Bereich Elektronikboardbestückung).

Einige Kameras bieten eine Sequencer-Funktion. Sie ermöglicht es, während einer Aufnahmesequenz blitzschnell die Kamera-Einstellungen von Bild zu Bild nach einem vordefinierten Plan zu verändern. Der Sequencer ist unverzichtbar, wenn in kurzer Zeit verschiedene Eigenschaften des Objektes betont werden müssen. Beispiele könnten hier Verkehrsüberwachungen, Glasinspektionssystem oder Laborautomationssysteme sein.
Kameraauswahl: Entscheidung für einen langfristigen „Partner“
Sich für ein System auf eine Kamera festlegen heißt meist, sich für Jahre im Design auf einen Partner einzulassen. Mit einem großen und etablierten Kamerahersteller zusammenzuarbeiten, kann sich lohnen.
Lieferfähigkeit oder Qualitätsaspekte spielen eine wichtige Rolle. Die Lieferfähigkeit wird umso wichtiger, je mehr Themen wie Minimierung von Kapitalbindung, Bestandssituation oder just-in-time Lieferung im Fokus stehen, um im Rahmen einer schlanken Produktion „Verschwendung“ im Bereich der Supply Chain zu vermeiden. Anspruchsvolle Herausforderungen, auf die längst nicht alle Industriekamerahersteller Antworten geben können: auch beim Kamera-Zulieferer müssen kurze Lieferzeiten, volatile Bestellmengen oder schnelle Großprojekt-Bedienung gut und flexibel geplant werden und in der Unternehmensorganisation verankert sein.
Verlässlichkeit und Stabilität wird gleichzeitig erwartet, wenn es um Qualität und Eigenschaften von Kameras geht. Tests und sorgfältige Kalibrierung sorgen dafür, dass sich jede Kamera wie erwartet verhält, die erhobenen Daten ermöglichen eine kontinuierliche Kontrolle der Fertigungsprozesse.
Und was, wenn es mal mit einer Kamera nicht so läuft, wie erwartet? Größe und Etablierung einer Marke am Markt sprechen meistens dafür, dass solch ein Hersteller Qualität liefert, dass er in kurzer Zeit Probleme sauber analysiert und aus Fehlern lernt, um kurzfristig Probleme sowohl im Produktionsprozess als auch auf Kundenseite zu lösen.